Interview mit Krimi-Autor Jörg Stanko.
Krimis müssen spannend sein! Dafür sind sie da. Wir tauchen ein in eine andere Welt, versuchen die Rätsel zusammen mit einem Kommissar oder Privatdetektiv zu lösen – weit weg von unseren eigenen Problemen und Rätseln.
In einem Regional-Krimi ist das einen Tick anders. Gerade im Bezug auf bekannte Orte und Namen findet man meistens das Spannende.
Und auch dem Ruhrgebiet mangelt es an eigenen Krimi-Autoren nicht.
Einer von ihnen ist beispielsweise Jörg Stanko, 48, freier Journalist und Autor (Kinderbücher, Romane, Regio-Krimis), wohnhaft in Essen-Fronhausen.
DW: Die Krimi-Geschichten, welche Sie schreiben, finden meistens in Essen statt. Einerseits macht dies Essener bestimmt neugierig. Ich möchte trotzdem nicht ausschließen, dass dies auch negative Schwingungen mit sich bringt. Die Wörter „eine Leiche am Baldeneysee“ rufen sicherlich keine positiven Assoziationen hervor. Vielleicht geht man da ja mit seinen kleinen Kindern spazieren…
JS: Von meinen Lesern habe ich so ein Feedback noch nicht bekommen. Aber ich selbst habe lange Zeit einen ähnlichen Konflikt mit mir herumgetragen, als es darum ging, ob ich denn die Regional-Krimis nun schreiben soll. Erschwerend hinzu kommt, dass ich aus dem Kinderbuch-Bereich komme. Nun schreibe ich über Geschichten, in denen eine Leiche gefunden wird, in denen es einen Toten und einen Mörder gibt… Ich habe mich lange damit geplagt, dass ich diese negativen Schwingungen in die Welt setze. Die Welt ist schlecht genug – sollte man da nicht gegensteuern?!
Mit der Zeit habe ich gelernt, das Ganze als Stilmittel zu betrachten und nicht als eine Art Grusel.
Wenn es nicht ins Pathologische geht, kann der Krimi gut dazu dienen, in die eigene Gefühlswelt zu schauen, mit Ängsten und Aggressionen aus dem täglichem Leben zu spielen. So kann man die dunklen Seiten in sich selbst betrachten, ohne dass diese gefährlich werden. Aggression ist ein Bestandteil des menschlichen Lebens – Wir müssen Sie irgendwie sublimieren.
DW: Kinderbücher und Krimis sind ziemlich unterschiedliche Genres. Sie schreiben auch Romane. Sind sie so auf der Suche nach sich selbst als Autor oder gibt es dafür einen anderen Grund?
Das muss man zeitlich versetzt betrachten.
Ich habe mit Kinderbüchern angefangen, dann Romane geschrieben und erst dann Krimis. Ob ich mich dabei als Autor gesucht habe…
Das war eher eine biografische Situation. Als ich mich von meiner damaligen Frau getrennt habe, hatten wir bereits unseren kleinen Sohn.
Zum einem habe ich nach etwas gesucht, das ich ihm vorlesen kann. Zum anderem wollte ich in meinen Büchern die richtigen Wörter finden, um Ihm sagen zu können, dass er immer mein geliebter Sohn sein wird, unabhängig von dem Stress, den Mama und Papa haben. Daraus sind zwei Bücher entstanden: „die Große Reise“ und „Immer wieder Papa-Wochenende“.
DW: Hatten Sie vor diesem Ereignis gar nicht den Wunsch zu schreiben?
JS: Schreiben… Ich habe das definitiv nicht mit der Muttermilch aufgesogen. Ich hatte seit langer Zeit einen irrationalen Wunsch nach einem bestimmten Lebensstil: Die Welt zu sehen. Über die Welt zu schreiben.
DW: Haben Sie als Jugendlicher viel gelesen? Was hat Sie am stärksten beeinflusst?
JS: Ich habe schon ziemlich früh nach Romanen unterschiedlichster Art gegriffen. Bei Thomas Mann habe ich plötzlich das Gefühl bekommen, dass er scheinbar von einem anderem Leben erzählt, welches meinem Begriff von „Was das Leben eigentlich ist“ näher kam als mein reelles, tägliches Dasein selbst.
DW: Wie ist es, Ihr reelles, tägliches Leben?
JS: Relativ langweilig: man sitzt den ganzen Tag am Schreibtisch oder vielleicht anderswo, tippt auf dem Laptop, bewegt sich natürlich irgendwie in dieser Welt, aber eben auf einer anderen Wahrnehmungsebene, die man versucht, in Geschichten umzuwandeln. Das Reizvolle am Schreiben ist für mich, dass meine Helden das machen, was ich mich im täglichen Leben nicht traue. Ein gewisses Spiel mit der Realität.
Die Romanfigur entscheidet sich vielleicht eher für das Irrationale oder für das Intuitive, ist weniger verstandorientiert. So schaffe ich es also graduell, die Realität zu erfinden und diese Realität in die Richtung zu lenken, von der man denkt: „so wäre es schön“.
DW: Wie sind Sie emotional drauf? Was kann man von Ihnen bei schlechter Laune erwarten?
JS: Ich bin eher introvertiert. Wenn ich schlecht gelaunt bin, ziehe ich mich zurück.
DW: Introvertiert? Kann es sein, das Ihr Spiel mit Roman-Personagen eine Art Sublimation ist?
JS: Ja. Außerdem ist Schreiben eine Art Kommunikation. Man hat immer imaginäres Publikum, für das man schreibt… Ich glaube, dass die Schriftsteller häufig eher schüchterne und introvertierte Menschen sind, denen es vielleicht auf einer Party schwer fällt, ein Gespräch zu schmeißen.
Jonathan Franzen hat mal über sich gesagt (ohne mich jetzt mit Ihm zu vergleichen): mein natürlicher Zustand ist eigentlich der des Beobachters.
Ob ich mit Menschen zusammen sitze und mich über irgendetwas unterhalte – ich nehme immer wahr. Was habe ich vom Gegenüber, was stecken da für Geschichten hinter. Ich denke auch darüber nach, welche Geschichten die Menschen verbinden könnten. Eins meiner liebsten Hobbys besteht darin, zwei Stunden im Café zu sitzen und Menschen zu beobachten – da wird es mir nicht langweilig.
DW: In Ihren Krimis sprechen Sie oft über Essener Polizei und Kripo. Pflegen Sie Kontakte zur Essener Kripo oder zum Pressesprecher, um vielleicht mal eine Konsultation zu Ermittlungsverfahren oder kriminellen Situationen in unserer Stadt zu bekommen?
JS: Ich bin nicht ständig in Kontakt mit der Polizei. Klar, wenn ich mal eine ganz spezielle Frage habe, dann recherchiere ich oder schreibe eine Anfrage.
DW: Können Sie eine dieser speziellen Fragen nennen?
JS: Letztens wollte ich wissen, ob man auf der Opferhaut die Fingerabdrücke sehen kann.
DW: Und kann man das?
JS: Erstaunlicherweise ja.
DW: Wer ist in Ihren Krimis Ihre Lieblingsfigur.
JS: Momentan ist das der Ermittler Krusenberg. Er ist cooler als ich, abgebrannter als ich, hat mehr Probleme mit Frauen als ich.
DW: Also Krusenberg muss schlechter sein, damit Jörg Stanko besser ist?
JS: Ja, in gewisser Weise vielleicht sogar so. Man sucht im Roman ein alter Ego, das sehe ich auch bei anderen Autoren.
DW: Was lesen Sie selbst gerade?
JS: Momentan bin ich bei Moby Dick. Ich habe selten ein Buch erlebt, wo ich dermaßen in eine andere Zeit transportiert wurde. Außerdem ist das Buch in einer sehr schönen antiquierten Sprache geschrieben. Melville erzählt auf eine unglaublich plastische Art.
Schönes Interview, interessante Fragen und Antworten. Ich habe Jörg Stanko auch schon live erlebt in einer Lesung mit Arnd Rüskamp im Gruga-Pavillion. Da haben sie aus den KriMinis vorgelesen, die auch in Essen spielen.