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Eine Diakonisse spricht über Sexualität – passt das zusammen?

Zugegeben, wenn man die Sache nicht aus dem Kontext reißt, dann klingt es vielleicht etwas weniger spektakulär, denn es handelt sich hier um die Sexualität im Pflegealltag bei Menschen mit Demenz. Und nichtsdestotrotz finde ich das Thema aus vielen Perspektiven sehr spannend.

Die Existenz dieser Problematik ist für Menschen, die keinerlei Berührung mit Dementen haben, kaum bewusst. Für die Angehörigen und das Pflegepersonal ist es dagegen ein breites Spektrum von Herausforderungen unterschiedlichster Art.

Wenn der Ehepartner an Demenz erkrankt, dann wird alles anders. Fast jedes Aspekt des Miteinanderlebens ändert sich gravierend. Das bedeutet aber nicht, dass diese Aspekte verschwinden, sie übergehen einfach auf eine andere Ebene.

So ist es auch mit der Sexualität. Das Intime kann plötzlich ganz anders aussehen und schon steht ein Lebenspartner vor einer Herausforderung. Es geht noch weiter: Ist eine demente Person dem Pflegepersonal anvertraut, kann es auch da zu schwierigen Situationen kommen. Und was nun?

Brigitta Schröder ist Diakonisse, welche sich das Thema „Demenz im Alltag“ auf die Fahne geschrieben hat. Seit Jahren begleitet sie Menschen mit Demenz, unterstützt mit Impulsen, organisiert Veranstaltungen, schreibt Bücher. In diesem Jahr erschien ihr Buch „Zärtlichkeit, Zuwendung und Sexualität im Pflegealltag“. Wir interviewen Brigitta zu diesem Thema.

DW.: Brigitta, Du bist eine Diakonisse und schreibst ein Buch über Sexualität. Ist das nicht aus verschiedensten Gründen problematisch?

B.: Du meinst, ich habe keine persönlichen Erfahrungen in dem Gebiet? Das stimmt. Ich bin schwesterschaftlich gebunden.

DW.: Wie hat sich das ergeben?

B.: Ich bin in einem sehr tabuisierten Umfeld groß geworden. Meine Eltern waren kein gutes Vorbild eines Liebespaares. Ich wusste schon damals – ich werde nie heiraten. Dazu kam noch, dass ich eines Tages ein stark nachwirkendes Erlebnis hatte. Das hat sehr viel zu meiner Entwicklung zu einer Person, die keine sexuelle Beziehung haben möchte, beigetragen. Ich habe Anästhesie erlernt und habe eines Tages einer Mitschwester eine Narkose zu machen, damit sie überhaupt gynäkologisch untersucht werden konnte. Das hat mich motiviert über meine eigene Sexualität nachzudenken.

DW.: Aber, das Fleisch ist schwach..

B.: Das kannst Du dir vielleicht schwer vorstellen, aber wir haben uns sehr über das Spirituelle ausgeglichen. Augustinus hat Seele und Körper getrennt und sprach vom sündigen Fleisch. Eros, Sexualität gehört zum Menschsein und ist eine Gabe des Schöpfers.

DW.: In Deinem Buch geht es aber nicht darum, die Sexualität auszugleichen. Das wäre bei Menschen mit Demenz auch nicht einfach.

B.: Dieses Buch ist aus den praktischen Erfahrungen mit Pflegebedürftigen entstanden. Ich bin überzeugt, dass wir zu uns selbst ganzheitlich „Ja“ sagen sollten, mit allem was wir sind und haben. Wenn das Pflegepersonal eigene Sexualität reflektiert, dann wird es einfacher, andere Menschen mit Grenzüberschreitungen zu begleiten. Alleine die Erinnerungen an die Zeiten eigener Pubertät sind in dieser Hinsicht sehr sinnvoll.

DW.: Wie genau stellst Du dir ein richtiges Verhalten vom Pflegepersonal vor? Du hast mir eben von einem Vorfall erzählt. Eine Krankenschwester hat zwei demente Patienten beim Sex erwischt. Sie war zu Tode erschrocken und wollte mit diesen Menschen nichts zu tun haben. Man kann verstehen, dass solche Situationen eine Herausforderung darstellen. Aber es gibt auch andere, bei denen das Personal sexuell belästigt wird. Welches Verhalten würdest Du in beiden Fällen empfehlen?

B.: Dass sie das Ganze einfach natürlich nehmen. Im ersten Fall, nicht mit rotem Kopf und schreiend raus rennen. Das ist einfach entwertend. Vielleicht lieber sowas wie:“ Ah, ich denke ich bin hier unpassend. Ich komme später.“
Was sehr wichtig ist: sich gut abzugrenzen. Da, wo Grenzüberschreitungen stattfinden, direkt Grenzen aufzeigen und trotzdem mit Zuwendung und Zärtlichkeit handeln.

DW.: Hättest Du ein Beispiel für eine solche Situation?

B.: Ein Patient sagt einer Krankenschwester: “ Ich habe dich so gern! Komm doch zu mir ins Bett.“ Die Antwort darauf kann ganz freundlich sein: “ Ah ja, Sie haben diesen Wunsch. Aber wissen Sie, ich habe heute den ganzen Tag gearbeitet, heute gehe ich nach Hause“. Ernst nehmen und nicht beurteilen.

DW.: Könnte schwierig sein, wenn es zum Beispiel zu Grapschereien kommt.

B.: Ich kenne eine Situation, wo eine junge Dame in solch einem Fall dem Patienten einfach die Möglichkeit gegeben hat, sich auf eine andere Art abzureagieren. Es wurde Musik angemacht und die beiden haben getanzt.

DW.: Wie würdest Du das Hauptthema des Buches definieren?

B.: Das tabuisierte Thema aufzuklären und die Menschen im alltäglichen Umgang mit Dementen und psychisch Erkrankten zu unterstützen.

Anregung:

Mutig das Tabu ansprechen, eine natürliche Haltung einüben und sich selber mit Phantasie und Humor schützen lernen.Buch von Brigitta Schröder

DW.: Vielen Dank Brigitta, Du hast mich, und bestimmt auch unsere Leser auf Dein Buch sehr neugierig gemacht.