„Bleib wie du bist, mein Junge“, sagte mein Patenonkel einmal zum Abschied, nachdem ich ihn besucht hatte. Dieser elementare Satz begleitet mich bis heute. In der Schule war ich von Anfang an auffallend schwach und ein Sorgenkind meiner Eltern. Umso wohltuender war dieser bestätigende Satz meines Onkels! Auf einmal sah ich mich als Wert, als etwas Gegebenes von Bedeutung, – das mir gehörte.
Zu der Zeit machte ich eine Kunsthändlerlehre in Düsseldorf. In den drei Jahren meiner Ausbildung war ich in der Landeshauptstadt der einzige Lehrling in diesem Fach, … zaghaft und unwissend. Doch schon bald erschloss sich mir eine Welt, die Welt der Kunst, eine schier grenzenlose Weite – und ich fühlte eine ungeahnte Freude am Lernen, am Betreten unbekannter Räume. Es lag nun an mir, zu gehen – staunend erwachend.
Frei wollte ich sein, eigene Wege wagen und eigenverantwortlich arbeiten.
Schon als Schüler im Internat hatte mich das Gespräch mit „den Großen“ aus den höheren Klassen interessiert … Was dachten sie aus ihrer Warte?
In dieser Zeit bereits entstanden Kontakte zu alten Menschen. Sie gehörten zur Generation meiner Großeltern – und sie wurden mir wegweisende Freunde. Sie kennzeichnete eine jugendliche Frische in ihrem wachen Interesse am Geschehen der Welt, der Gesellschaft und vor allem der Kunst, wie ich es unter meinen Altersgenossen nicht fand.
Heute hat sich das Verhältnis umgedreht. Ich fühle Dankbarkeit und Glück, mit Jugendlichen aus der Generation meiner Kinder befreundet zu sein und von und mit ihnen lernen zu dürfen in diesem bunten Angebot des Lebens.
Mit dieser Grundhaltung der unvoreingenommenen Neugier habe ich mich damals ins weite Feld der Selbständigkeit gewagt, mit besonderer Ausrichtung der Interessensvertretung selbst gewählter und geschätzter Partner.
Begonnen habe ich 1979 mit einer kleinen Kollektion aus Italien – mit schon bald überraschender Folge. Ich war an der Atlantikküste in Frankreich, als mich dort der Ruf eines älteren Kollegen erreichte. Er habe von mir gehört und bat mich, wenn eben möglich, in den nächsten Tagen nach Mailand zur Internationalen Möbelmesse zu kommen. Er wolle mich dort kennenlernen. So kam ich unverhofft ins „Epizentrum“ der Branche. Blick- und qualitätsverwöhnt in meiner Ausbildung zum Kunsthändler fand ich dort die weltweit hochwertigsten Möbelkollektionen und erkannte schnell: „Hier bin ich richtig!“
So begann ich eine freiberufliche Zusammenarbeit mit diesem arrivierten Kollegen, dessen Ruf mich in Frankreich erreicht hatte, und lernte auf diese Weise im klassischen Einrichtungsbereich die maßgeblichen Hersteller aus England, Italien, Spanien und später auch Belgien kennen.
Auf besonderen Wunsch des belgischen Herstellers, mit mir persönlich und direkt arbeiten zu wollen, gelang ein erster, und nach fairer Absprache mit meinem älteren Kollegen, schon bald der entscheidende zweite Schritt in die absolute Selbstständigkeit. Das schnell entstandene Vertrauen in der gemeinsamen Arbeit mit den oben erwähnten Fabrikanten wurde zu einem ersten tragfähigen Pfeiler.
Aber ich wollte mehr. Ich hatte schon vor Jahren als Lehrling in Düsseldorf meinem Vater gesagt, dass ich, sollte ich einmal den Kunsthandel verlassen und in die Möbelbranche wechseln, in der er selbst bereits in der zweiten Generation als freier Berater tätig war, dort zu den Besten zählen wollte. Mein Vater lächelte.
Mit tatkräftiger Unterstützung und Rückendeckung meiner Frau gelang es nun sukzessive, ein Bouquet der attraktivsten Kollektionen vor allem auch kleinerer Familienunternehmen, aus Kunstwerkstätten, ausschließlich aus dem europäischen Ausland, zusammenzustellen.
Eine beträchtliche Sammlung von Liebhaberstücken stand mir nun zur Verfügung und ich durfte sie in eigener Entscheidung auf dem deutschen Markt anbieten. Es war nicht mein Ziel, sie nur hier und da zu verkaufen, sondern ausgewählten und kenntnisreichen Händlern zu vermitteln.
Nie wollte ich bei meinen Kunden den Eindruck hinterlassen: „Der hat mir was verkauft…“, sondern: „Das hat mir gefehlt, das wollte ich haben.“
Mein Erfolg sollte auf Ehrlichkeit und Vertrauen beruhen. Das bildete einen überzeugenden Rahmen und öffnete weitere Türen. Nie habe ich mich bei einem Unternehmen bewerben müssen. Empfehlungen bildeten die Basis aller Verträge.
Durch genaue Marktbeobachtungen entstanden Ideen von Modellen in Art und Gestaltung, die zunächst nur in meinem Kopf existierten. Wer meiner Hersteller könnte diese Ideen zu exklusiven Handelsobjekten werden lassen und mir als „meine“ eigenen Werke in meine Hand legen? Das hat mich gereizt, das sollte gelingen!
Es gelang! Als Beispiel ein besonderes Ergebnis, ein wunderschönes Stehpult, inspiriert durch ein Original, an dem Friedrich Schiller gearbeitet hatte, fand letztlich Erwähnung in einem Artikel mit Abbildung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein beachtlicher Erfolg resultierte daraus noch über lange Zeit.
Ich durfte und konnte also meinen Beruf und mein Leben erstaunlich frei gestalten – welch ein Geschenk!
Aber natürlich war nicht immer alles nur einfach und leicht! Es gab herbe und strapazierende Herausforderungen, vor allem in Streitfällen zwischen Herstellern und Kunden, wenn ich versuchte, als freier Interessensvermittler aus meiner Sicht die Gerechtigkeit zu vertreten. Das erforderte zähe Überzeugungsarbeit und Standfestigkeit im Bemühen, Fronten zu überwinden. Ja, ich war auch „Brückenbauer“, und wollte es sein!
Eine beständig verlässliche Quelle der Inspiration und des freien Denkens blieb mir die Beschäftigung mit Kunst, Literatur und Poesie, Poesie „im griechischen Sinn der Poiesis als Kunst der Hervorbringung, der Erkenntnisproduktion, des Sichtbarwerdenlassens“. (Martin Warnke)
Wie könnte ich all das jemals vergessen, in meinem Ruhestand seit 2016, in dem ich selbst ständig weiter gehe, fasziniert lernend und staunend in diesem geschenkten Leben mit nun endlich mehr Zeit zum Lesen, Lauschen und Tauschen mit ähnlich Interessierten.
Aber auch: Fortlaufend öffnen sich Pforten in Begegnung mit Menschen, kranken, traurigen, einsamen, auch traumatisierten aus fernen Orten. Durch aktives Zuhören wächst etwas Neues, Ungeahntes, sogar Beglückendes! Ich gehe zu Menschen, die nicht mehr gehen können und spreche mit denen, die nicht mehr sprechen können …. Brücken bauen möchte ich weiterhin.
Hier und da versuche ich mich in Arbeitsgruppen einzubringen. Was z. B. kann getan werden, um Vielfalt als Wertschöpfung für die Einheit einer Stadtgesellschaft zu verdeutlichen?
Ein steiniger Weg, aber ein Weg …!