Durchatmen
Da stehe ich – vor dem Konsulat, diesmal direkt nach meinem Termin, voller Erleichterung, froh und stolz zur gleichen Zeit. Ein großer Schritt im Vorbereitungsprozess wurde soeben gemacht. Ich musste nur noch abwarten, bis mein Reisepass mit dem darin enthaltenen Visum innerhalb der nächsten Wochen meine Adresse erreicht, aber darum machte ich mir nicht allzu viele Gedanken. Aber nun hieß es durchzuatmen.
Nach einem kurzen Telefonat begab ich mich zurück zum Auto, wo ich dann an die Tür klopfte, die Tom, wie erwartet, verschlossen hatte, um ein Nickerchen abzuhalten während ich im Konsulat war. Als ich reinkam, fragte er mich mit nicht allzu viel Begeisterung, wie es von meiner Seite zu erwarten wäre, wie es denn war. Als ich seine Frage beantwortete war es schön festzustellen, dass auch er sich für mich freute.
Ohne weitere Zeit im Auto zu verschwenden, stiegen wir aus und fingen an in Richtung der Frankfurter Innenstadt zu laufen. Wir wollten unbedingt die gigantische Mitte der Stadt sehen, in der wir beide zum ersten Mal zu Gast waren.
Mein erster Reisefreund?
An dieser Stelle würde ich gerne einen für mich sehr bedeutsamen Punkt einbringen, dessen Thematik sich über diesen und folgende Artikel ausbreiten wird:
Auf WhatsApp gibt es tausende Au Pair Gruppen, die dazu dienen sollen, zukünftige und auch aktuelle Au Pairs organisationstechnisch und auch manchmal mental zu unterstützen. Die Mitglieder solcher Gruppen sind meist Leute, die entweder in der gleichen Umgebung oder Region in Amerika leben oder leben werden, oder zukünftige Au Pairs, dessen Ausreisedatum das selbe ist.
Da die Anzahl an jungen Leuten, die entweder am gleichen Tag fliegen oder in der gleichen Region in den Staaten leben in der Hochsaison ziemlich groß sein kann, fassen einige solcher Au Pair Gruppen manchmal sogar 256 Mitglieder – die Maximalkapazität.
Mein Ausreisedatum war den 11. Juli – der Hochsommer und somit die perfekt Zeit für etliche Au Pairs das Auslandsjahr anzutreten. Aufgrund dieses Datums und der Tatsache, dass es sehr viele Au Pairs im Bostoner Kreis gibt, war ich Mitglied gleich zweier solcher Gruppen. Die eine war für die Leute gedacht, die am 11. ausreisen und die andere für die, die in der Bostoner Umgebung wohnen.
Es gab sehr viel Verkehr in den Gruppen – jeden Tag gab es ein neues Thema, welches diskutiert wurde.
Noch Wochen vor meinem Interview im Frankfurt, kam das Thema „Termin im Konsulat“ in einer solchen Gruppe auf. Auch ich stellte dazu eine Frage. Diese wurde in einigen wenigen Nachrichten geklärt und ich vergaß das Gespräch schnell.
Bereits wenige Stunden später hatte ich eine Nachricht im Privatchat. Er stellte sich als Niklas vor und meinte, dass er meine Nummer aus der Gruppe habe, wo wir über das Visum geredet haben. Er sagte mir, dass auch er am 11. Juli ausreist und ebenfalls in der Nähe von Boston leben wird.
Ich habe mich über diese Nachricht sehr gefreut, da ich ehrlich gesagt schon ein wenig Bange davor hatte, mein ganzes Auslandsjahr nur mit Mädchen zu verbringen. Ich glaube, dass dieser Genuss nicht wirklich von allzu langer Dauer wäre.
Niklas sagte mir außerdem, dass er in Frankfurt lebt und sich gerne mit mir dort treffen würde, wenn ich da bin um mein Visum zu beantragen. Selbstverständlich habe ich dem Vorschlag eines Kennenlernens sofort zugesagt.
Es war ein wichtiger Kontakt für mich, da männliche Au Pairs ohnehin schon ziemlich selten vertreten sind und welche, die nah beieinander wohnen noch seltener. Aber damals habe ich noch keine Ahnung gehabt, wie wichtig dieser Kontakt noch werden würde.
Also – Tom und ich wanderten durch die Großstadt und erkundeten sie so genau, wie wir in den wenigen Stunden die wir hatten überhaupt konnten. Auch wenn Tom sein Jahr in New Jersey verbringen würde, freute auch er sich darauf, Niklas kennenzulernen, denn genau wie für mich, war es auch für Tom ein neuer Kontakt mit einem zukünftigen männlichen Au Pair. Es war interessant sich zu dritt zu treffen, um über unser bevorstehendes Erlebnis zu sprechen.
Nun erinnere ich mich nicht mehr daran, ob Niklas sein Visum zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens schon hatte, aber für Tom und mich gesprochen kann ich sagen, dass wir uns endlich entspannt und ohne jede Sorge, dass noch irgendetwas schieflaufen könnte, über unser nächstes Jahr in den Vereinigten Staaten von Amerika unterhalten konnten.
Als Treffpunkt schlug Niklas ein gutes Burger-Restaurant am Rande der Innenstadt vor, wo wir uns um 16 Uhr verabredeten.
Zu dieser Zeit waren wir bereits ganze 5 Stunden fast ohne jegliche Pausen unterwegs. Wir waren erschöpft, hungrig und ich schätze, dass auch die letzte Nacht unserem Aussehen zugesetzt hat. Also warteten wir auf Niklas.
Es ist vielleicht nicht einfach nachzuvollziehen, aber auch hier war ich etwas nervös: Wie ist wohl eines der wenigen männlichen Au Pairs, mit denen ich meine Zeit in Amerika verbringen würde? Und würde ich dort überhaupt Zeit mit ihm verbringen?
Als Niklas dann auftauchte und ich ihn das erste Mal sah, war ich ehrlich gesagt ein wenig enttäuscht. Er trug Stiefeletten, eine enge schwarze Jeans und ein schickes Hemd. Damals habe ich auf teure und stylische Kleidung gar keinen Wert gelegt und war das komplette Gegenteil von ihm. Ich hatte keinen einzigen solcher Leute in meinem Freundeskreis. Welche, die sich so gut anzogen, denn in der Regel waren es Leute aus der Oberschicht, die sich zu gut für den Umgang mit Menschen sind, die nicht so sind wie sie selbst. Und damals dachte ich, dass mir genau diese Art sich anzuziehen viel über ihn verraten würde. Mein erster Eindruck von ihm: Arrogant und Hochnäsig.
Wir schüttelten die Hände und gingen in das Lokal rein. Ein gemeinsames Gespräch aufzubauen war etwas schwierig, aber bereits eine kurze Zeit später sprachen wir mit viel Interesse füreinander. Ich denke, dass es überflüssig ist, unsere Gesprächsthemen zu erwähnen. Worüber werden drei zukünftige männliche Au Pairs wohl sprechen? Während des Gesprächs habe ich immer mehr Sympathie für Niklas empfunden. Mein erster Eindruck von ihm schien sich nicht lange zu halten.
Wie kleine Kinder denen keinerlei Tischsitten beigebracht wurden, saßen wir da und redeten mit vollen Mündern durcheinander.
Aber dafür gab es einen Grund: Erinnert Ihr Euch noch daran, wie ich Tom kennengelernt habe und was unser Treffen für ein riesiger Zufall war? Naja, hier kommt meine nächste Überraschung:
Wir haben uns gerade über unsere ersten Matches unterhalten und Niklas fragte mich, woher mein erstes Match kam. Also erzählte ich ihm von der Familie in Los Angeles. Ich erzählte ihm auch von den Kindern, wie sie hießen und wie alt sie waren. Ohne mich ausreden zu lassen stellte er mir die Frage: “Wie heißt die Familie?“ Ich wunderte mich über die Dringlichkeit seiner Frage, die offenbar eine Unterbrechung wert war, nannte ihm aber den Namen.
Er saß nur da und sah mich mit einem Blick an, der eine Mischung aus Überraschung und Schock war. Einige Momente später öffnete er endlich seinen Mund und rief:“Nieeeeeeemaaaaaaaals!“
Diese Reaktion hat mich nun wirklich überrascht. Er fuhr fort: “Mein Bruder Kevin war Au Pair in dieser Familie.. das muss doch wohl ein Scherz sein.“
Ich bin fast vom Stuhl gefallen, was meinen Bürger über das ganze Lokal verteilen würde.
Ich saß am Tisch mit 2 Menschen, die unabhängig voneinander durch einen großen Zufall in einem relativ kurzen Zeitabschnitt in mein Leben getreten sind. Es hat nur noch gefehlt, dass Niklas und Tom Brüder sind, ohne es zu wissen.
Wir saßen noch eine Weile im Restaurant, wonach Niklas Tom und mich mit dem Auto zurück in die Frankfurter Innenstadt fuhr, wo wir dann noch einige Zeit verbringen würden bevor es wieder Heim geht.
Der Abschied von Niklas war ein kurzes Händeschütteln, da er uns direkt an einer Kreuzung raus gelassen hat. Tom und ich verabschiedeten uns schnell. Die beiden Jungs wünschten sich ein erfolgreiches Auslandsjahr und Niklas und ich freuten uns auf den 11.Juli.
Erstaunlich, wie dieser Junge sich in dem Jahr, das wir zusammen verbringen würden, entwickelt und verändert hat – aber später mehr dazu.
Letzte Schritte
Mein Termin im Konsulat war der letzte große Schritt vor meiner Ausreise. Die letzten zwei Monate in Deutschland verliefen ziemlich ruhig und ohne große Aufregung und Ereignisse.
Ich habe noch ein paar Mal mit meiner Gastmutter gesprochen. Sie half mir, ein Football Team in der Nähe zu finden und einige andere Vorbereitungen zu treffen.
Aber natürlich durfte ich das Lernen nicht vernachlässigen, da der Abschluss den ich anstrebte die Mindestvoraussetzung für dieses Au Pair Programm war. Das heißt, dass ich mein Jahr in den Staaten vergessen konnte, wenn ich die Abschlussprüfung nicht bestehen würde. Also lernte ich und bestand die Prüfungen in den Hauptfächern im Durchschnitt mit einer guten 2.
Des Weiteren erledigte ich eine der letzten Aufgaben, die Cultural Care werdenden Au Pairs mit auf den Weg gibt: Ein Kurs zur Vorbereitung auf unser Training in der New Yorker Training School. Also eine Vorbereitung zur Vorbereitung. Aber diese Online-Kurse waren keine große Sache. Man liest ein paar Texte, antwortet auf einige darauf bezogene Fragen und mehr nicht. Keine wirklich spaßige Angelegenheit, aber während des ganzen Vorbereitungsprozesses hier in Deutschland hatte ich definitiv schwierigere Aufgaben die ich bewältigen musste, als mir vier Stunden lang verschiedene Texte über Kinderbetreuung durchzulesen und einige Kästchen anzukreuzen.
Die Wochen vergingen peu à peu und der 11. Juli kam näher und näher.
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