Insolvenz, Gutachten, Versteigerung – es klingt nach Misserfolg, Verlust und Desaster. Oft ist es auch genau das. Vor 10 Jahren gründete Roland Müller die Proventura Industrie-Auktion West GmbH, heute ist er erfolgreicher Auktionator und Gutachter.
Dein Werk führt ein Interview mit dem geschäftsführenden Gesellschafter der Proventura Industrie-Auktion West GmbH.
Dein Werk: Roland, du bist Gutachter und Versteigerer – der Mann mit dem Holzhammer auf der Bühne, welcher die Trümmern von wirtschaftlichen Desastern verkauft. Was ist das für ein Beruf und wo lernt man das?
R. Müller: In erster Linie bin ich Gutachter und sorge dafür, dass der Insolvenzverwalter ein Zahlenwerk an die Hand bekommt. Damit wird versucht, eine Fortführungslösung zu finden – einen Investor, einen Kredit, Einigung mit Gläubigern oder ähnliches. Wenn die Aussicht besteht, dass die Firma weiter ihre Existenzberechtigung hat und überleben kann, dann wird das natürlich vorgezogen. Versteigert wird letztendlich nur in vielleicht 25% der Fälle.
Von der Ausbildung her bin ich gelernter Industriekaufmann. Sicherlich hilft es mir beim Lesen von Anlagespiegeln und Bilanzen. Da man aber in sehr vielen unterschiedlichen Branchen tätig ist, kann man sich nicht speziell weiterbilden – man braucht auf jeden Fall ein starkes technisches Interesse und Verständnis. Ich muss mich bei Gutachten, egal in welcher Branche, hineindenken und hineinarbeiten. Ich habe zum Beispiel vor einigen Jahren ein Gutachten über eine sehr energieintensive Produktionsanlage in einem Chemiepark erstellt, obwohl ich in der Schule keine Leuchte in Chemie war. Dann habe ich mich intensiv mit der Thematik, den Produktionsabläufen, der Marktsituation und zahlreichen weiteren Kriterien befasst und das Gutachten wurde dicker als das Essener Telefonbuch. Wir haben damit über 350 Arbeitsplätze retten können, da anhand des Gutachtens ein Investor gefunden wurde.
Dein Werk: Und wann verdienst du mehr Geld – bei einer Versteigerung oder wenn die Firma gerettet werden kann?
R. Müller: Im Falle eines Gutachtens werde ich nach Aufwand bezahlt. Was ich an Zeit investiere, bekomme ich bezahlt und damit ist der Auftrag erledigt. Wenn es zu einer Versteigerung kommt, ist der Verdienst vom Umsatz abhängig, da ich von den Käufern ein Aufgeld in Höhe von 15 % bekomme. Ich sehe das als Mischkalkulation. Wenn ein mittelständischer Betrieb mit werthaltigem Anlagevermögen versteigert wird, kann ich dabei verdienen. Bei kleinen Betrieben bleibt meist nichts übrig und ich kann froh sein, wenn meine Kosten gedeckt werden. Aber auch diese Aufträge müssen erledigt werden. Ziel ist, den Auftraggeber zufrieden zu stellen und weiterhin Aufträge – natürlich gern Größere – zu bekommen.
Dein Werk: Wer sind deine Auftraggeber?
R. Müller: Überwiegend Insolvenzverwalter (ca. 20), dazu Kreditinstitute und Gerichte. Es gibt gelegentlich auch Gutachtenaufträge von Firmen, die z.B. ihr Inventar beleihen möchten. Eine Versteigerung lohnt bei privaten Auftraggebern aber meistens nicht, da die Preisvorstellungen der Verkäufer unrealistisch hoch sind. Diesen Auftraggebern sage ich: „ geh einmal mit der Sichtweise eines potentiellen Interessenten durch deinen Betrieb und sage ehrlich zu dir selbst: bei einer Versteigerung würde ich unter Berücksichtigung von Aufgeld, Garantieverzicht und Transportkosten Summe X bieten“. Dann werden die meisten wach…
Und somit gibt es wenig Privatversteigerungen.
Dein Werk: Bist du bei deiner Arbeit hauptsächlich durch Einkommen motiviert?
R. Müller: Der Beruf an sich ist hochinteressant. Ich mache es sehr gerne, was mit meinem technischen Interesse zusammenhängt. Ich muss immer wissen, wie alles funktioniert. Vor ein paar Jahren hatte ich einige Bauunternehmungen zu versteigern. Ich habe mich damals tatsächlich in jeden einzelnen Bagger etc. gesetzt, die Funktionen getestet und konnte dann bei der Versteigerung sagen, dass ich die Bagger selbst gefahren habe und sie in Ordnung sind. Normalerweise hat der Auktionator damit nichts zu tun und kann keine derartigen Auskünfte geben. Der Käufer trägt das Risiko, er kann kaufen ‘wie gesehen’ oder es lassen. Mein Vorgehen ist bei den Käufern unheimlich gut angekommen – die Versteigerung lief fantastisch. Doch, ich liebe meinen Job.
Dein Werk: Also war es kein Zufall, dass du Auktionator geworden bist?
R. Müller: Doch das war es: das Auktionshaus, bei dem ich seinerzeit als Projektleiter tätig war, hat im Zuge einer Zusammenlegung einige Außenstellen geschlossen. Davon war auch mein Büro betroffen. Ich musste überlegen, wie es für mich weitergeht und habe mich hier und da beworben. In dieser Zeit bin ich zu vielen Versteigerungen gefahren und habe mir angeschaut, wie Andere das machen und habe meine Leistungen da angeboten. Eine der ersten Fragen, die mir gestellt wurden, war immer: „Haben Sie Kontakte zu Insolvenzverwaltern?“.
Die hatte ich nicht, weil mein bisheriger Arbeitgeber die Kontakte zwischen Projektleiter und Auftraggeber nicht zugelassen hat. Also klappte es mit einer neuen Anstellung nicht. Auch bei der Proventura Industrie-Auktion GmbH in Göttingen habe ich mich beworben. Im Laufe des mehrstündigen Gesprächs kamen wir zu dem Ergebnis, mich nicht ins Angestelltenverhältnis zu übernehmen, sondern motivationssteigernd gemeinsam eine neue Firma, nämlich die Proventura Industrie-Auktion West GmbH, zu gründen. Da ich die Internetseite der Göttinger Kollegen mitnutzen konnte und auf Grund meiner vorherigen Tätigkeit auch technisch voll ausgestattet war, konnte ich mich also zumindest teilweise ins gemachte Nest setzen.
Dein Werk: Manche möchten das ganze Leben Angestellter bleiben und sich weniger um Überlebensprobleme kümmern. Andere dagegen wollen unbedingt ihr eigenes Süppchen kochen. War für dich in diesem Moment klar, was für ein Typ du bist?
R. Müller: Das ist für mich immer klar gewesen. Ich brauche mein freies Arbeiten. Das habe ich bereits als Projektleiter gehabt. Ich habe zwar meine Einsätze zugeteilt bekommen, konnte mich aber selbst organisieren. Jetzt ist es alles noch besser – ich entscheide alles selbst. Mein Mitgesellschafter lässt mir völlig freie Hand.
Dein Werk: War alles also relativ wolkenlos bei deinem Anfang?
R. Müller: Die ersten Monate waren sehr anstrengend und belastend. Ich habe mir Kontaktdaten von Insolvenzverwaltern herausgesucht und einen nach dem anderen angerufen. Mein Büro habe ich zu Hause gehabt und arbeitete allein. Im Telefongespräch habe ich versucht, einen persönlichen Termin zu bekommen. Die meisten Verwalter hatten aber bereits einen Gutachter und Verwerter, deswegen war es oft aussichtslos. Aber es gibt auch junge Verwalter, die gerade erst anfangen und noch keinen Gutachter haben. Andere sind mit ihrem bisherigen Gutachter unzufrieden oder wollen einen anderen Gutachter ausprobieren. Das baut sich aber ziemlich langsam auf.
Die GmbH haben wir im Mai 2005 gegründet. Die Einlagen wurden erbracht. Mein Gehalt und ein Fahrzeug mussten von diesen Einlagen finanziert werden.
Die laufenden Einnahmen bestanden aus ersten kleineren Gutachten und waren nicht kostendeckend. Anfang 2006 wurde die Kapitaldecke dünn und die Aussichten nicht gut. Als ich dann schon überlegte, alles wieder an den Haken zu hängen, kam plötzlich ein größerer Auftrag über die Versteigerung einer Bauunternehmung. Da habe ich in Druck und Versand von mehreren tausend Versteigerungskatalogen investiert, damit die Auktion ein Erfolg wird, zumal sie in einer Region stattfand, in der die Proventura bislang nicht tätig war. Alleine an Porto für den Katalogversand habe ich damals über € 1.000 bezahlt. Zum Glück brauchte ich die Rechnung von der Druckerei nicht sofort zahlen. Nach der Versteigerung konnte ich es ohne Probleme tun. Ich habe bei diesem Auftrag gut verdient, so dass ich weitermachen konnte. Dann kamen in unmittelbarer Folge weitere Aufträge. Das war die Rettung im letzten Moment.
Dein Werk: Wie viele Telefongespräche musstest du am Tag führen?
R. Müller: Sehr viele. Eine genaue Zahl weiß ich nicht mehr. Es ist sehr anstrengend und nervenaufreibend. Wenn man zu oft am Tag „Herr … ist nicht da“ oder „nein danke, brauchen wir nicht“ hört, lässt die Motivation mit der Zeit nach und die Anzahl der Telefonate verringert sich.
Dein Werk: Hat dein Partner dich in dieser Zeit unter Druck gesetzt?
R. Müller: Nein. Er ist gelassen geblieben. Von ihm habe ich moralische Unterstützung bekommen. Er war überzeugt: wer vollen Einsatz leistet, wird früher oder später erfolgreich.
Dein Werk: Welche Art Werbung machst du für Proventura?
R. Müller: Ich mache keine allgemeine Werbung. Nur bezogen auf eine anstehende Versteigerung. Wenn ich z. B. eine Gaststätte versteigere, dann spreche ich bei meiner Werbung gezielt die Gastronomen im Umkreis von 50 – 100 Kilometern an. Je nach Werbebudget in Form von Serienbriefen oder Katalogversand.
Dein Werk: Kann ein Gutachter anhand von steigender oder sinkender Anzahl von Insolvenzen in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen sehen, welcher Branche es gerade besser oder schlechter geht?
R. Müller: Nein. Manche Tendenzen können wir beobachten, ist aber eher selten. Manchmal vermutet man Zusammenhänge, aber ich mache lieber meine Arbeit, als darüber zu spekulieren.
Dein Werk: Freust Du Dich wenn bei einer Insolvenz ein Investor gefunden wird und die Firma gerettet sein kann?
R. Müller: In dem Moment schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits freue ich mich, wenn ein Lebenswerk oder Arbeitsplätze gerettet werden konnten, anderseits habe auch ich meine Kosten und möchte, dass am Jahresende eine schwarze Zahl in der Bilanz steht. Aber ich strebe nicht an, Millionär zu werden.
Dein Werk: Danke für das offene und interessante Gespräch!