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Anmerkungen zur letzten Ausstellung der Galerie Gublia in Essen Kreuzeskirchviertel

„Sie kennen doch Dada?“, fragte vor knapp 100 Jahren Louis Aragon den Leser in seinem Essay über die inzwischen verschwundene Passage de l`Opera in Paris. Dort trafen sich nämlich die Dadaisten Breton, Aragon und viele andere und redeten sich die Köpfe heiß. Ein interessantes kleines Künstlervölkchen kam zusammen, auch Max Ernst gehörte zeitweilig dazu. Die Bewegung war Inspiration pur in einer unruhigen Zeit. Vom Krieg hatte man die Nase voll, man wollte weg vom Alten und Neues schaffen.

Unruhige Zeiten befeuern die Inspiration, und das können wir auch in unserem Quartier, ja im Kreuzeskirchviertel, spüren, man muss nur die Augen offenhalten.

Zur Ausstellung von Christian Manss

Die Galerie Gublia ist solch eine Quelle der Inspiration, ihre letzte Ausstellung von Christian Manss hat das einmal mehr bewiesen. Diesen Künstler in unser Quartier geholt zu haben und dafür zu sorgen, dass er sich bei uns wohl fühlt, dafür  haben wir zu danken. Manss ist kein junger Künstler, der noch entdeckt werden muss. Er, der in Leipzig und Zürich studiert und schon eine Reihe von Stipendien erhalten hat, ist seit Jahren international unterwegs (u. a. in Südkorea und den USA) und hat dort diverse anspruchsvolle Ausstellungen bestritten.

Natürlich sind es erst einmal seine Arbeiten, die in den Bann ziehen, und die sollte man gesehen haben. Sie haben ihre ganz eigene Charakteristik. Wir haben es mit Fotoarbeiten zu tun, die aber mit einer neuen Technik, z. T. mit großer Experimentierfreude von ihm selbst entwickelt, eine eigenartige und spezifische Verfremdung erfahren. Das fasziniert, weil Gegenständliches mit Abstraktem vereint (oder konfrontiert?) wird und so Stimmungen geschaffen werden, die anregen, zu Fragen und zur eigenen Recherche anregen. Neben verfremdeter Gegenständlichkeit finden wir auch Anklänge an die Romantik, etwa bei dem Bild von der Elbe mit der Loschwitzbrücke in Dresden. Eine Frau – wir sehen sie nur abgewandt – schaut die Elbe hinunter, die voller romantischer Geschichte ist. Aber da ist auch die blau gestrichene Brücke, das sogenannte „blaue Wunder“, die selbst auf eine lesenswert-dramatische Geschichte zurückblicken kann. (FN)

Die Kunst der Worte

Seine Werke haben auch Titel. Viele Künstler verzichten darauf, aber hier bei Manss erschließen sie häufig einen tieferen Sinn: „Dinge, die nichts bedeuten, aber trotzdem unwichtig sind“, oder „Nichts ist so vergänglich wie die Ewigkeit.“ Na, da lebt doch Dada wieder auf!? Man staunt, stutzt und sinnt vielleicht über das ein oder andere mal nach, weil Selbstverständliches eben nicht selbstverständlich ist.

Und dann der Text zu der Ausstellung! Auch ihn, von Manss selbst verfasst, sollte man unbedingt lesen. (In der Galerie konnte man ihn pointiert deklamiert hören.)  Er hebt sich wohltuend von dem ab, was man sonst so kennt. Kein lobender Schmalz wurde da erdacht, sondern hier gibt es kreativ Geschütteltes zu lesen, jenseits von glattpolierten Sätzen. Manchmal reimt es sich, manchmal nicht. Manchmal bezieht er sich auf die Werke („Bilder reine Behauptung aus Foto und Farbe“), mal wird es kritisch („Ein deutscher Sommer ohne Tempobeschränkung“), mal philosophisch („Haltlose Tatsachen, wohin ich auch schau“) und dann haben wir wieder Dada: „Fliegende Schweine, elfengleich am Buffet.“ Da macht das Lesen doch Spaß!

Dada_Kunst

Christian Manss

Photographie als Kunst

„Wird es der Photographie erlaubt, die Kunst in einigen ihrer Funktionen zu ergänzen, so wird diese alsbald von ihr verdrängt und verderbt sein.“ Diese Prognose wagte Baudelaire in „Der Künstler und das moderne Leben“ anlässlich einer Photographie-Ausstellung vor rund 170 Jahren. Wie vergänglich sind doch die vermeintlich „ewigen Wahrheiten“ und wie anders entwickelte sich das „moderne Leben“. Auch geniale Köpfe irren, manchmal sogar grandioser als das übrige Publikum. Die Zeiten, in denen der Photographie das Künstlerische abgesprochen wurde, sind spätestens mit Man Ray vorbei.  Manss´ Schaffen ist ein weiterer Beweis, dass dieses Genre Zukunft hat und immer für Überraschungen gut ist. In diesem Sinn wünschen wir ihm viel Erfolg und würden uns freuen, eines Tages in unserem Quartier wieder einige seiner „haltlosen Tatsachen“ sehen zu dürfen.

 

(FN: Die Loschwitzbrücke wurde 1883 – also im Jahre 6 v. ET, wenn wir den Bau des Eiffelturms als epochale Zäsur nehmen – gebaut und galt seinerzeit wegen der innovativen pfeilerlosen Überspannung als technisches Wunder. Trotzdem hat sie, einem zweiten Wunder gleich, die Zeiten bis heute gerade so und buchstäblich mit „Ach und Krach“ überstanden – den 2. Weltkrieg und das Nazi-Regime, und dann die unschönen Jahre in der DDR. Was man vielleicht in dem Zusammenhang auch wissen sollte: Man war sich über die Anmutung dieser Brücke gar nicht einig. Ähnlich wie beim Eiffelturm wurde sie anfänglich von vielen als ästhetisches Monstrum abgelehnt, in DDR-Zeiten dann als alter Plunder abgetan, um dann erst vor fünf Jahren als erhaltenswert angesehen zu werden. Glück gehabt. Ein Beispiel, wie zeitgebunden unsere ästhetischen Wahrnehmungen doch funktionieren. Auch das regt zum Nachdenken an. (Vgl. auch den lesenswerten Artikel in Wikipedia)