MAGAZIN FÜR MACHER

DEIN WERK

Offizieller Kooperationspartner des Unperfekthauses

Komischerweise fiel der Abschied nicht annähernd so schwer wie erwartet. Es reichte für mich total aus, meine Freunde ein letztes Mal zu treffen, ohne eine Abschiedsfeier zu schmeißen, wie es jedes andere Au Pair machte.

Den letzten Abend verbrachte ich mit meinen Eltern, Bruder und Opa, der uns zu der Zeit besuchte in einem Restaurant. Ich lud ebenfalls die besten Freunde unserer Familie ein. Es war ein gelungener Sommerabend an dem wir alle zusammen aßen, redeten und lachten.

Ich kümmerte mich bereits am Morgen dieses Tages ums packen. Da ich noch nie gut im Koffer packen war und auch nicht einschätzen konnte, was ich alles in Amerika brauchen würde, war das Packen ein einziges Desaster. Ich packte meine Sachen aber bewusst noch unordentlicher, als ich es hinbekommen hätte können, damit meine Mutter früher oder später nicht anders konnte als zu fragen, ob sie das Verstauen übernehmen soll.
Sie ließ wortwörtlich die Hälfte meines Raumes in meinen beiden Koffern verschwinden.

Ich musste um 2 Uhr morgens aufstehen – genau 4 Stunden nach unserer Rückkehr aus dem Restaurant. Das wäre nicht der Fall, wenn mein Flug, wie zuerst geplant, von Düsseldorf gehen würde. Als Cultural Care meinen Flug nach New York City buchen wollte, hat die Organisation schnell festgestellt, dass es an dem Tag keine freien Plätze mehr auf dem einzigen Flug von Düsseldorf nach New York mehr gibt, was sie einen Flug von Frankfurt für mich hat buchen lassen. Die Kosten meines Zugfahrscheines von Essen nach Frankfurt hat Cultural Care übernommen. Um den Kauf musste ich mich allerdings selbst kümmern, womit ich schon Tage davor begonnen habe. Vorsichtig wie ich bei dem Thema bin, habe ich die Verbindung, die ich mir rausgesucht habe nochmal vor dem Schlafengehen überprüft. Ich bin froh dass ich es tat, denn tatsächlich ist diese ausgefallen. Das ist der Grund für das frühe Aufstehen gewesen.

In dieser „langen“ Nacht habe ich kein Auge zugemacht, sondern drehte mich nur in meinem Bett herum mit dem Gedanken, dass es das letzte mal in einer langen Zeit ist, dass ich drin schlafe. Ich hatte ein komisches Gefühl – es ist schwer zu beschreiben. Der Moment, auf den ich so lange gewartet habe war nur einige wenige Stunden entfernt, doch konnte ich diese besondere Vorfreude, wie all die letzten Monate, nicht fühlen. Stattdessen überfiel mich plötzlich Angst und ich fing an mich zu fragen, ob ich den richtigen Weg gehe. Der perfekte Zeitpunkt, oder? Aber schnell fing ich mich wieder und verstand, dass es eine normale Reaktion auf die momentanen Ereignisse war.

Früh am Morgen

Der Wecker, den ich mir für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich einschlief stellte, ging um 2 Uhr Morgens. Ich stand auf, machte mich fertig und weckte meine Eltern. Ich wollte unbedingt meinen Bruder noch einmal sehen, obwohl ich mich von ihm bereits am Vorabend verabschiedete. Aber der Kleine war gerade mal 5 Jahre alt und brauchte seinen Schlaf. Die Tatsache, dass er in diesem Jahr unglaublich wachsen würde, ließ mich ihn nur noch mehr vermissen.

Wir fuhren zuhause eine halbe Stunde vor der Abfahrt meines Zuges los. Die Fahrt zum Essener Hauptbahnhof war ruhig und keiner von uns hat viel gesagt. Das war echt komisch, da meine Eltern und ich normalerweise über jeden möglichen Kram redeten. Meine Mutter saß auf dem Beifahrersitz und sprach hier und da mal zu mir: “Hast du deine Versicherungskarte? Falls was sein sollte, rufst du mich sofort an!“ und so weiter. Ich fand es echt süß, wie sie da traurig saß und sich um mich kümmerte.

Mein Vater redete sogar noch weniger, frage mich aber auch, ob ich meinen Reisepass, Visumspapiere, etc. dabeihabe.

Als wir ankamen, parkte mein Vater den Wagen und wir stiegen aus. Ich erinnere mich, wie gut die sommerliche Nachtluft roch. Meine Eltern wollten mich noch zum Gleis bringen. Auf dem Weg dorthin versuchte meine Mutter pausenlos, mir meine riesige Tasche aus der Hand zu reißen und sie selber zu tragen. Sie wollte sich unbedingt noch ein letztes mal um mich kümmern.

Auf Wiedersehen!

Da standen wir. Der Zug, der schon am Gleis stand als wir ankamen, würde in 5 Minuten fahren.
Das erste Mal im Leben schauten wir uns gegenseitig in die Augen wissend, dass wir das eine lange Zeit nicht mehr machen würden. Mein Vater hielt sich wacker und wünschte mir alles Gute für mein Jahr, aber meine Mutter brach in Tränen aus. Auch sie wünschte mir alles Gute und sagte mir, dass ich so gut wie es nur irgend möglich auf mich aufpassen soll. Natürlich war es traurig, meine Mutter so zu sehen, aber auf der anderen Seite fand ich es auch schön, dass beide mich so vermissen würden.

Ich umarmte beide ein zweites mal, drehte mich um und stieg in den Zug. Das war’s, dachte ich, von nun an bin ich auf mich allein gestellt. Ich setzte mich in den für die Uhrzeit ziemlich überfüllten Zug.
Eine Mischung aus Aufregung und Vorfreude auf die bevorstehenden Monate, Angst nicht allein klar zu kommen und tausende andere Gedanken, die ich in diesem Moment an mich ran und meine mentale Verfassung beeinflussen ließ, schossen durch mich hindurch.

Aber am meisten fühlte ich Freude – daran erinnere ich mich gut!

Auf mich allein gestellt

Ich musste am Kölner Hauptbahnhof in einen ICE umsteigen, der mich dann direkt zum Frankfurter Flughafen beförderte. Die Fahrt war nicht allzu lang.

Ich kam ungefähr 4 Stunden vor Abflug an. Ich hatte ungeheuren Spaß beim Schleppen meiner beiden Koffer und meines Rucksacks, zumal der Frankfurter Flughafen der größte Deutschlands ist. Als ich endlich mein Gepäck aufgeben konnte und nichts weiter als meinen Rucksack bei mir hatte, wollte ich mich gerade auf den Weg zum Gate, welches auf meinem Ticket angegeben war, machen, als ich Niklas in der Menge sah. Er stand nicht weit weg von der Gepäckaufgabe zusammen mit seinen Eltern und seiner Freundin, von der ich zuerst dachte, dass es seine Schwester sei. Als er sie dann küsste, habe ich mich wirklich erschrocken, aber es hat nicht lang gedauert bis ich darauf kam, dass es vielleicht auch nicht seine Schwester ist. Sein Gepäck stand noch bei ihm. Ich lief rüber zu ihnen, grüßte Niklas und stellte mich in die Runde vor. Ich sagte dann zu ihm, dass wir uns am Gate sehen würden, da ich die letzten gemeinsamen Momente der Familie nicht stören wollte.

Ich kann mich noch erinnern, wie ich ein Hauch Freude und Freiheit verspürte. In wenigen Stunden würde ich in ein Flugzeug  steigen, dass mich von dem Ort, an dem ich fast mein gesamtes Leben verbracht habe, an einen Ort wo ich noch nie war und zu Menschen, die ich nicht kenne, bringen würde – unglaublich!

Auf dem Weg zum Gate musste ich noch durch die eine oder andere Kontrolle, wo ich auf einige Au Pairs gestoßen bin. Sie waren leicht erkennbar, da die meisten ein Cultural Care – Aufhänger an ihrem Rucksack hatten. Die haben wir per Post geschickt bekommen, damit wir uns alle in New York wiederfinden würden. Ich traf sogar ein Mädchen, dass ich in einer der riesigen WhatsApp – Gruppen kennengelernt habe und mit der ich dann Monate lang geschrieben hatte. Hier und da kam immer mal ein weiteres Au Pair dazu, sodass wir eine Gruppe von ungefähr 10 Personen waren. Als wir durch alle Kontrollen durch waren, machten wir uns auf den direkten Weg zum Gate.

Wir haben das richtige Gate nicht etwa am Schild erkannt, sondern daran, dass ungefähr 150 junge Leute in unserem Alter davor standen, wovon der Großteil weiblich war.

Sicher war ich mir aber erst, als ich Niklas in der „wilden“ Menge erkannt habe.

Der Anblick von ihm umzingelt von all diesen Mädchen hat sogar noch etwas mehr Vorfreude auf unsere Zeit in den Staaten verschafft.

Er stand dort mit einem anderen Jungen, der auch Au Pair im Bostoner Kreise werden würde. Sein Name ist Felix. Er kam aus einer Stadt die viel näher an Essen als Frankfurt ist. Allerdings schien er nicht wirklich daran interessiert zu sein, einen Kontakt mit mir aufzubauen, obwohl er wusste, dass ich in den Staaten in seiner Nähe wohnen würde. Ich erinnere mich noch, ihm geschrieben zu haben. Aus dem Chat war leicht zu entnehmen, dass er an einem gemeinsamen Kontakt jeglicher Art aus irgendeinem Grund nicht interessiert war.


Für mich war das natürlich kein Anlass nicht rüber zu gehen und sie zu grüßen. Ich erkannte einige Mädchen, die relativ viel in diesen WhatsApp Gruppen geschrieben haben und auch ich wurde erkannt.

Die Zeit am Flughafen verging sehr schnell und wir mussten nicht lange warten, bis das Boarding begonnen hat.
Die Fluggesellschaft, die an dem Tag das Abenteuer 150 junger Menschen „einleiten“ würde, waren sie Singapore Airlines.

In meinem gesamten Leben war ich noch nie an einem Flughafen in der Lage, alle Kontrollen problemlos zu passieren und auch dieses Mal sollte es nicht so sein, vor allem weil davor alles so problemlos ablief. Von allen 150 Au Pairs mussten es natürlich Niklas und ich sein, die für eine zusätzliche Kontrolle raus gezogen wurden, während all die andern an Bord gingen. 

Nachdem sie endlich mit uns fertig waren und fast jede erdenkliche Stelle unseres Körpers überprüften, ohne unsere menschliche Würde komplett zu zerstören, durften wir gehen. Ich habe keine Ahnung, warum es ausgerechnet wir sein mussten.

Wir waren die letzten, die in das Flugzeug stiegen. Als wir an unseren Sitzen ankamen, bemerkten wir, dass wir nur einige Plätze voneinander entfernt sitzen würden. Das war natürlich nicht Grund genug, um unser Gespräch zu unterbrechen, also redeten wir weiter über unsere Themen. Es hat weniger als 10 Minuten gedauert, bis die Leute zwischen uns anboten, die Plätze so zu wechseln, dass Niklas und ich nebeneinander sitzen würden. Wir dankten für das Angebot und taten uns und den Leuten einen großen Gefallen und setzten uns zusammen. Wir hatten so die Möglichkeit, uns etwas besser als im Burgerrestaurant in Frankfurt kennenzulernen.

Weg

Wir hörten auf zu reden, als das Flugzeug anfing in Richtung Startbahn zu rollen. Das war der Moment, in dem wir realisierten, dass es kein Zurück mehr gibt.

Der Singapore Airlines Flug SQ 206 nach New York City startete auf die Minute genau.