Denkt Ihr, es geht um Superhelden?
Na ja. So ganz falsch ist diese Vermutung nicht. Es geht auf jeden Fall um Menschen, welche anderen Menschen helfen und diese auch manchmal retten. Und noch ein Superhelden-Merkmal haben sie – Altruismus.
Also, die Karten auf den Tisch. Es geht um „Essen packt an 2015“. Diese Initiative ist quasi aus dem Sturm entstanden. Als der Sturm Ela die Straßen und Fahrradwege mit umgestürzten Bäumen versperrt hat, haben sich Essener Bürger via Facebook organisiert, um die Wege wieder freizumachen. Seitdem hält sich die Gruppe zusammen, neue Mitglieder und neue Projekte kommen ständig dazu.
Man muss es nur wollen und nach einem Klick und Bestätigung durch den Administrator Markus sind Sie ein neues Mitglied. So habe ich es auch gemacht. Dann erlebte ich 10 Minuten des Misstrauens: In einer Vorstellungsrunde habe ich den Link auf DW geteilt, was zunächst für Werbung gehalten wurde. Aber nach einigen Fragen und Antworten war es gegessen. Eine Woche später saßen wir an einem Tisch in Unperfekthaus, nippten am Kaffee und tauschten uns aus. Meine Interviewpartner sind ein wirklich lustiges Grüppchen. Sehr unterschiedlich und sehr abgestimmt. Gerne unterbrechen sie und ergänzen einander, machen Witze, bringen das Interview durcheinander und strahlen Sympathie aus.
Markus ist für die Administration, Vernetzung und den Informationsaustausch verantwortlich. Er ist Kaufmännischer Leiter eines Hi Fi – und Heimkinovertriebes, hat einen normalen Arbeitstag von 8 Stunden. Bevor der Tag beginnt, telefoniert er mit einzelnen Gruppen von EPA, chattet, erstellt Berichte in Facebook. Nach der Arbeit, Außendienst in ganz Deutschland und in den Büros, geht es wieder an den EPA-Schreibtisch. Teilweise bis 3 Uhr nachts.
Für jede Minute Zeit, die ich für Menschen auf die Straße investiere, bekomme ich 5 Minuten mehr von Lebensenergie. Auch für meinen Job. Plötzlich gewinnt das Leben viel mehr Qualität – sagt Markus aufgeregt und erzählt die Geschichte von Essen packt an:
Wie das Virtuelle zur Realität erwachte
Die Idee von Essen packt an entstand vor ca. einem Jahr, direkt nach dem Sturm Ela. Erstmal hatten die ersten Mitglieder das Ziel, die Straßen nach dem Sturm frei zu räumen. Die virtuellen Freundschaften bei Facebook erwachten zum Leben. Die ersten haben angefangen andere Leute zusammen zu trommeln und plötzlich waren so viele anpackende Hände dabei, dass das Ganze unheimlich schnell Dynamik gewonnen hat. Auch die Kooperation mit offiziellen Stellen klappte gut, gerade in der Anfangsphase. Es ist ein Geist der Gruppe entstanden.
Dein Werk: Wie viele seid ihr?
Markus: Einmal „Essen packt an“ – ist immer Essen packt an. Aktiv sind jetzt mittlerweile über 2000 Menschen. Zu den Sturmzeiten waren das 1700, durch die anderen Nachfolgeprojekte konnten wir auch mehr Essener animieren. Die Menschen sind dann einfach in der Phasen aktiv, wann Sie Zeit dafür haben. Jeder nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Dein Werk: So viele Menschen zu organisieren, ist nicht gerade einfach. Welche Administration habt Ihr überhaupt?
Markus: Die Administration besteht aus rund 60 Leuten, welche ihre Ideen größeren Gruppen vorschlagen. Wir haben zwei gemeinsame Kassen. Eine aus der Zeit des Sturmes Ela. Die ist momentan im Minus, was ich selber trage. Für unser neues Projekt „ Warm durch die Nacht“ haben wir noch eine andere Kasse, welche nur aus Barmitteln besteht. Sie existiert als Zuwendung von Freunden und ich verwalte diese Mittel im Interesse unseres Unternehmens. Einige Bezirksvertretungen der Stadt Essen haben sich bereits engagiert und uns wird geholfen.
Dein Werk: Ihr habt also nicht ein Projekt, sondern mehrere?
Markus: Insgesamt gibt es vier große Themenbereiche
- Natur und Umwelt. Die Bekämpfung der Wasserpest (Elodea) ermöglicht den Wassersportvereinen weiter Sport zu machen, Riesenbärenklau Bekämpfung ist auch wichtig. Die Pflanze stellt Verbrennungsgefahr insbesondere für Kleinkinder und Tiere dar. Dazu sind wir dem Wunsch von Grün und Gruga nachgekommen und kümmern uns um die Radwege der Innenstadt.
- Spielplätze-Aufbau – liegt momentan auf Eis, wegen unterschiedlichen Sicherheits- Vorschriften. Trotzdem finden wir das Thema ganz wichtig und möchten irgendwann aktiv werden. Für die Kinder wird heute immer mehr gestrichen. Wir planen alternativ auch etwas mit Indoor – Spielplätzen weiter zu machen.
- Kulturevent-Begleitservice. Entstanden als eine Art Hilfe für die eigenen Mitglieder, welche unter 980 € Verdienst haben, damit sie kostenlos von kulturellen Angeboten profitieren können. Dann kam die Kulturloge auf uns zu und hat vorgeschlagen, dass wir Begleitservice machen. Viele Menschen würden gerne kulturelle Angebote nutzen, können aber nicht weil sie keine Begleitung haben und nicht in der Lage sind, alleine zu kommen.
- Warm durch die Nacht. Zuerst bestand diese Aktion darin, heiße Brühe, warme Decken und warme Worte Obdachlosen zu bringen. (Besonders unter 8 Grad. Unter 0 Grad fährt der Kältebus des Deutschen Rotes Kreuzes durch die Stadt. Bei mehr sind diese Menschen auf sich alleine gestellt.) Es kam jemand dazu, der selber vor ein paar Jahren obdachlos gewesen ist und dadurch hat alles eine ganz andere Qualität bekommen und zwar im positiven Sinne. Jetzt kümmern wir uns noch mehr um die Obdachlosen und haben die in Deutschland die erste „Obdachlosen Botschaft“ errichtet. Die Obdachlosen Botschaft hat mittlerweile so viele Aufgaben, dass sie nicht als Anhängsel an „Warm durch die Nacht“ zu sehen ist. Sie ist vielmehr. Man könnte hier auch von dem 5. Themengebiet sprechen.
An der Reaktion von der neben mir sitzender Janita ahne ich, dass es hier um ihr Thema geht und vielleicht um einiges mehr. Sie bestätigt es selber und fängt an sehr konzentriert und ruhig zu erzählen:
Bin mit 13 auf die Straße gekommen. Jugendamt hat an dieser Stelle versagt, keiner hat mich gesucht. Ich bin schwer drogenabhängig geworden und habe fast ein Bein verloren. Das war auch mein Glück. Im Krankenhaus traf ich auf sehr gute Menschen. Chefärzte sind auf mich aufmerksam geworden und haben mir geholfen, in das Drogenersatzstoffprogramm zu kommen. Daraus hat sich eine neue Situation entwickelt. Ich habe eine Wohnung bekommen und bis zu diesem Zeitpunkt durfte in dem Krankenhaus bleiben. Mittlerweile habe ich mein Leben gut im Griff. Durch meine Erfahrungen kann ich anderen besser helfen.
Dein Werk: Wie machst du das ?
Janita: ich gehe mit Obdachlosen zu Ämtern. Helfe die Formulare auszufüllen. Haue da auf den Tisch, wo es nötig ist. Das ist eben für Obdachlose ein sehr großes Problem, zum Amt zu gehen. Mit der Zeit entwickeln sich bei denen solche Ängste, dass sie es gar nicht mehr wagen. Ich habe in der Zeit meines Straßenlebens selbst Panik-Attacken mit Schweiß-ausbrüchen bekommen, wenn ich zum Amt gehen musste. Deswegen kann ich diese Menschen auch ganz gut verstehen. Das ist ein Teil von unserer Arbeit.
An der Stelle steigen Christina und Andre ins Gespräch ein und erzählen über „Warm durch die Nacht“ – Aufgaben.
Andre Jendrzeyzak ist der Gründer von „Warm durch die Nacht“. Während unseres Gesprächs spricht er nicht viel:
Bin oft im Hintergrund tätig, was Organisationstechnisches angeht. Bin selbstständiger Mediengestalter für Digital- und Printmedien. Sechs bis acht Stunden am Tag investiere ich in die Arbeit bei EPA.
Seine Begleiterin Christina hat über das Projekt vom Andre erfahren und fand das sofort sehr gut. Menschen helfen wollte sie schon immer. Allerdings fand sie kein flexibles System, in dem sie diese Tätigkeit mit ihrem privatem und beruflichem Leben im Einklang bringen konnte.
Bei Essen packt an funktioniert das. Man kann spontan zu einem Treffen kommen, man kann sich nach eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten einbringen. Man hat keine Verpflichtungen und das ist das Gute daran. Wenn du nicht da bist, dann kommt ein anderer und die Lücke wird geschlossen. Ein erheblicher Vorteil ist es auch, direkt vor Ort zu sein und die Menschen, denen du hilfst, selber sehen und sprechen zu können. Hilfe kommt da an, wo sie gebraucht wird.Menschen, die ich auf der Straße betreue, sind total nett und freuen sich über unsere Besuche. Untereinander sprechen sie nicht über Themen, die sie mit uns besprechen können.
Unser Gespräch ist lang und sehr lebhaft. Ich beobachte mit Interesse diese Menschen und fange an zu verstehen, dass dieses Projekt für sie nicht weniger wichtig ist, als für die Menschen, welchen sie helfen.
Es gibt noch sehr viel darüber zu sagen und das wird auch getan.
Nur nicht jetzt….
Yevgeniy Kucherskyy
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