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Die Reliquien der Heiligen Helena in der Galerie Gublia Kreuzeskirchstr. 3, 45127 Essen

Anmerkungen zur Vernissage in Zeiten der Pandemie

Diese neue Kunstaustellung, von der umtriebigen Galeristin Irma Gublia wieder mit einem bewundernswerten Engagement in unser Kreativ-Quartier geholt, kann man vielfältig ausdeuten und fällt daher etwas aus dem üblichen Rahmen des Kunstgenres: Sie verweist auf unsere spirituell-kulturellen Wurzeln, die unser christliches Abendland entscheidend prägten. In Zeiten der Pandemie scheinen tiefere, spirituelle Fragen aktueller denn je zu sein. Dass sich sogar ein Atheist wieder mit christlichen Mythen beschäftigt, das macht neugierig. Der Künstler immerhin bekennt sich dazu. Dass zudem das Kreuz, das Symbol des Christentums schlechthin, in einer Kunstgalerie unweit der Kreuzeskirche gerade jetzt zur österlichen Zeit thematisiert wird, nehmen wir als weitere glückliche Koinzidenz. Worum geht es?

Wir treten in einen mit Wüstensand bedeckten Raum, mittig in einem Sandhaufen steckt ein Spaten, man hat angefangen zu graben – Konturen eines Holzkreuzes werden frei.  Ein mächtiges Kreuz, genauso wie es die Römer für ihre grausamen Hinrichtungen genutzt hatten und an das Jesus Christus vor rund 2000 Jahren nach einem schweren Leidensweg genagelt worden war. Im Hintergrund fällt eine große Bildtapete ins Auge: Palästina, das Land, in dem die Kreuzigung geschah (vgl. Foto). An der Wand sieht der Betrachter 13 Fotos, auf denen die französische Tänzerin und Choreografin Chrystel Guiellebeaud in verschiedenen Szenen dargestellt ist – sich symbolisch auf die 13 Stationen des Kreuzwegs Christi beziehend. Und dann steht da noch ein goldenes Skelett!

Der anwesende Künstler Gerhard Rossmann erzählt seine Geschichte, das Narrativ einer Nachwirkung (Aftermath). Er, Jahrgang 1951, gehört nicht zu den jungen Wilden, und Blasphemie ist nicht die Intention. Er will uns vielmehr eine Legende nachspüren lassen, die sich um die Heilige Helena rankt. In der Reihe der rund 6000 Heiligen und Seligen spielt sie in der katholischen Kirche eine herausragende Rolle. Nicht nur, weil sie die Mutter von Kaiser Konstantin war, dem das Christentum ganz wesentlich seinen Aufstieg zu verdanken hat, sondern weil sie in Jerusalem und anderswo mit großer Leidenschaft nach Reliquien suchte – und fündig wurde. Kaum eine Reliquie könnte bedeutender sein als das Kreuz, an dem Jesus zu Tode gekommen war. Helena will es gefunden und Bruchstücke davon nach Rom verbracht haben, die nach dem Bau des Petersdoms in einer seiner tragenden Säulen eingefasst wurden. Die Heilige Helena wird daher vielerorts verehrt, natürlich in Italien, aber auch z. B. in Paris – in der Notre-Dame wird angeblich die Dornenkrone von Jesus aufbewahrt, auch ein Fundstück von Helena – und vor allem in Trier, wo ihr Haupt im Dom als Reliquie aufbewahrt wird.

Hat es nun etwas Spirituelles, wenn ein Atheist dieser Legende nachspürt, ein profanes Stück Holz in den Vatikan trägt, es dort an die Säule hält, um dann nach Trier zu fahren, um es dort ebenfalls symbolisch zu „weihen“? Ein Kleriker könnte bei diesem Narrativ vielleicht eine Gänsehaut bekommen, zumal die Aura der Reliquien zumindest nördlich der Alpen an Ausstrahlung verloren hat. Das Kreuz Christi ist jedoch das alle christlichen Überzeugungen Verbindende.

Dass Gerhard Rossmann uns mit dieser Installation ein Aftermath beschert, regt in dem von ihm geschaffenen Erlebnisraum durchaus zur Auseinandersetzung mit diesem Thema an – wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen.

Der Künstler musste sich während der Vernissage Fragen stellen, und er stellt sich. Man tauscht sich aus. Für die orthodoxen Christen seien nicht die Reliquien wichtig, sondern die Ikonen der Heiligen. Daraus gewinne der Gläubige seine spirituelle Kraft, so ein Gegenentwurf. Ein weiterer Besucher, ein evangelischer Theologe, verweist darauf, dass mit den Reliquien früher vor allem viel profanes Geschäft betrieben wurde, etwas, was der evangelischen Auslegung des Glaubens völlig fremd sei … Aber die Wirkung, die die Heilige Helena mit dem in Palästina gefundenen Kreuz ausgelöst hatte, die war unstreitig epochal – und das kann in diesem Raum, wer will, erspüren.

Kryptisch ist hier nichts. Auch nichts Unbewusstes war hier zu deuten, aber wir werden auf einen durch die Moderne verschütteten historischen Kontext verwiesen, der hier in der Galerie Gublia symbolisch ausgegraben wird. Zum Abschied wendet sich der Theologe noch einmal an den Künstler: „Wissen Sie, Sie sind eigentlich gar kein Atheist, Sie sind ein Agnostiker.“ Es wirkt etwas nach, auch beim Künstler selbst.

Ach ja, was sollte eigentlich das goldene Skelett da in der Mitte des Raums? Besuchen Sie die Galerie, so Corona uns gnädig ist, und machen Sie sich Ihre Gedanken, es gibt so viele Mythen und Legenden …